Darum geht's:
Inna sitzt spätabends an ihrem Arbeitsplatz in einer einsamen Fabrikhalle fest, als ein Schneesturm sie einschneit. So kann sie Igor, der dort ebenfalls das Ende des Sturms abwarten will, nicht entgehen und muss sich mit ihm unterhalten. Am liebsten nur Small Talk, aber darauf versteht sie sich nicht so gut, denn sie fürchtet, viel mehr zu erzählen, als sie sollte.
So fand ich's:
Selten hat sich meine Meinung zu einem Buch während des Lesens so stark geändert wie bei "Die Angst der Schweigenden". Es fällt mir diesmal auch nicht wirklich leicht, das Buch so umfassend wie möglich in seiner ganzen Besonderheit vorzustellen, ohne zu viel zu verraten. Bei dem offiziellen Klappentext hatte ich etwas anderes erwartet, als ich dann tatsächlich geboten bekam. Aber auch ich hatte Probleme, ein "Darum geht's" zu schreiben, denn man kann dieses Buch ganz schlecht auf wenige Sätze zusammenfassen.
Anfangs fand ich den Erzählstil ein wenig anstrengend, sperrig, knapp, mit vielen Andeutungen und wenig Erklärungen, aber auch viel Atmosphäre. Man wird als LeserIn gezwungen zu rätseln, worum es Inna geht, was sie für ein Problem mit dem Besucher Igor hat und was die kleine Marga damit zu tun hat, die den verletzten Weihnachtsmann im Wald findet. Das Stilmittel, dass man auch als LeserIn nicht mehr weiß als die Romanfiguren und manchmal sogar weniger, gefällt mir in den seltensten Fällen. Und auch hier hat mich das genervt und verwirrt und ich wollte die Figuren anschreien, sie mögen doch jetzt endlich mal erklären, was hier eigentlich vor sich geht. Dabei war aber klar, dass sie das teilweise selbst nicht wussten, teilweise absichtlich täuschten. Träume mischten sich mit Rückblenden, richtige Erinnerungen mit falschen. Als LeserIn ist man nicht distanziert beobachtend, sondern das Buch löst viele, teils gemischte, Gefühle in einem aus.
Und bevor ich mir noch ein Urteil darüber gebildet hatte, ob ich mich für diese spezielle Art zu erzählen begeistern kann oder nicht - hing ich schon am Haken. Wie bei einem Puzzle bekommt man einzelne Teile der Geschichte und probiert herum, wie sie zusammenpassen. Und dieser Prozess wird immer intensiver, je mehr man sich mit Inna und ihrem Bruder Jenke, mit Marga und ihrer Familie beschäftigt. Im Nachhinein gesehen finde ich, dass genau diese ganz eigene Erzählweise die Dramatik der Geschichte ausgesprochen gut unterstützt hat. Sie fesselt und fordert einen auf, sich die Geschichte selbst zu erarbeiten, überrascht mit unerwarteten Wendungen und enthüllt langsam Dinge, die man braucht, um alles zu verstehen.
Locker-flockige Unterhaltung ist dieses Buch nicht. Es wird schleichend dramatisch und finster und man ist emotional mitten dabei. Wer Lust auf ein Buch hat, das garantiert nicht nach Schema F gestrickt ist, sondern sich was traut, einen mitnimmt in eine düstere Thriller-Welt und auf sehr gekonnte Weise fesselt - dem sei "Die Angst der Schweigenden" wärmstens ans Herz gelegt.
Mehr dazu:
Weitere Meinungen zum Buch:
(wird ergänzt)
Herzlichen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar
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Titel: Die Angst der Schweigenden
Autor/in: Nienke Jos
ISBN / ASIN: 978-3-8392-2720-6
Sprache: Deutsch
Genre: Thriller
Verlag: Gmeiner
Erscheinungsjahr: 2021
Medium: eBook
Seitenzahl: 309
Klappentext- und Bildquelle sowie Buchdetails: Verlagsseite
Huhu meine Feine uuund wer hätte das noch gedacht?! So selten wie sich in letzter Zeit meine Vorlieben mit den anderer Leser:innen überschneiden, erfreue ich mich immer, wenn das dann doch mal zutrifft. Von Nienke habe ich bislang noch nichts gelesen oder gehört, aber Kerstin ist ganz begeistert von ihren Geschichten. Auf der Wunschliste sind sie, aber besonders dieser titel hüpft immer weiter nach oben, ich habe bislang fast nur begeisterte Eindrücke dazu vernommen. Eigentlich sind das Genre und ich nicht mehr eng miteinander, aber so langsam platze ich vor Neugierde und auch deine Worte haben mich wieder gekonnt zum Lesen wollen angezuckert. Ich denke, ein Kauf ist nicht mehr in allzu weiter Ferne. Vor allem nicht nach Schema F spricht mich hart an!
Hab einen muckeligen Sonntag
Liebe Janna,
ach schau, mir war gar nicht bewusst, dass Kerstin schon Bücher von Nienke gelesen hat. Ich hoffe, sie hat sie auch rezensiert und ich kann mal schauen, was sie dazu sagt.
Als Vielleserin hat man ja manchmal das Gefühl, schon alles gelesen zu haben. Umso schöner ist es, wenn ein Buch einen noch überraschen und trotzdem gut unterhalten kann. Ich kann die Angst der Schweigenden nur empfehlen und hoffe, es wird in Deiner Leseliste ganz nach oben gespült.
Liebe Grüße
Gabi
Mindestens ein oder zwei titel finden sich bei uns (= Und so langsam muss ich wohl nachlesen, wenn alle besonders von diesem Titel, den du vorstellst, so begeistert berichten. Das eine Buch auf kurz oder lang lässt meinen RuB auch nicht mehr zusammenbrechen hehe
Hallo Gabi!
Am Anfang deiner Rezension habe ich gedacht, naja, das wäre bestimmt nichts für mich, denn ich kann es nicht leiden wenn man nur so häppchenweise alles serviert bekommt. Aber dein Fazit am Schluss klingt doch wieder total interessant. Bin hin und her gerissen.
Liebe Grüße
Diana
Hallo Diana,
mir ging es genauso wie Dir, denn wenn die LeserInnen lange im Ungewissen bleiben und sich die Handlung selbst zusammenreimen müssen, ist das eine Erzählweise, die ich überhaupt nicht mag. Da muss es schon echt gut rübergebracht sein und / oder ich muss überzeugt werden, dass diese Erzählweise die beste für das Buch war. Und so kam es dann. Das Verwirrspiel hat sich für mich sehr gelohnt. Ich bin gespannt, ob Du nach dem Buch greifst und wie es Dir gefällt!
Liebe Grüße
Gabi