Die Stille nach dem Schrei von Isolde Sammer

Martin Werneck wird des Mordes an seinem Halbbruder Jonas angeklagt. Er soll Jonas beim Mord an einem Jungen überrascht und im Affekt erschlagen haben. Das Gericht glaubt ihm und er kommt frei. Er trifft Tina, die ihn bewundert und anhimmelt, schmiedet Pläne über Studium und Führerschein und könnte nun alles zum Guten wenden. Doch relativ schnell erfährt der Leser, dass Martin tatsächlich ein sadistisch-pädophil veranlagter junger Mann ist, der es geschickt versteht, seine Umgebung zu manipulieren und eigentlich ganz andere Ziele verfolgt. Seine Stiefmutter Isolde und Kommissar Schneider blicken hinter seine Fassade, können aber nichts beweisen, denn Martin ist clever und misstrauisch. Und so bleibt ihnen nichts anderes übrig, als zuzusehen, wie Tina immer mehr in den Bann Martins gerät, wie die Zeitbombe Martin tickt und er seine begehrlichen Blicke auf Tinas kleinen Bruder wirft …

Es gibt verschiedene Blickwinkel auf die Geschichte. Da ist zum einen die Ich-Erzählung von Tina in Form eines Briefes, die den Hauptteil des Buches bestreitet. Diese Passagen sind sprachlich einfach gehalten und so formuliert, dass man Tina fast erzählen hören kann. Dadurch wirkt die Erzählung bedrückend realistisch. Daneben kommen Isolde, Martin oder Kommissar Schneider passagenweise aus ihrer Sicht zu Wort, die ergänzen, was aus Tinas Blickwinkel nicht zu sehen ist bzw. was sie nicht wahr haben will. Diese Studie des Grauens wird mit leisen Tönen so einfühlsam, vielschichtig und ohne Schwarz-Weiss-Malerei erzählt, dass man die Handlungen aller Beteiligten, wenn schon nicht verstehen, aber doch zum großen Teil nachvollziehen kann. Es wird auf detailiertes Ausmalen blutiger Details verzichtet, denn der Schwerpunkt der Erzählung liegt auf dem psychologischen Aspekt. Man bekommt das Gefühl, dass Martin nicht mehr lange unter Kontrolle zu halten sein wird, dass bald etwas Schreckliches passiert und niemand in der Lage ist, sich ihm in den Weg zu stellen. Auch Stiefmutter Isolde nicht, die sich verzweifelt bemüht, in Martins Kindheit und in medizinischen Büchern nach Ursachen – vielleicht auch für das eigene Versagen – zu forschen. Das erzeugt eine unterschwellige Spannung, die einen leise und trotzdem effektiv einfängt. Ein lesenswerter Psychothriller.

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