30 Songs und eine Frau von Christine Weiner

Darum geht’s:

Anne muss ihr Elternhaus ausräumen, denn ihre verwitwete Mutter ist nach einem Sturz in eine Seniorenresidenz gezogen. Dabei stößt sie auf jede Menge Erinnerungsstücke, die Anne in eine wehmütige Stimmung reißen. Was wurde aus den Träumen ihrer Jugend? Denn in ihrem Leben ist die 50jährige Anne schon lange nicht mehr glücklich. Der erwachsene Sohn braucht sie nicht mehr, ihr Mann und ihre Mutter sehen sie nur als ständig verfügbares Personal an. Und so biegt sie statt zur Seniorenresidenz zu fahren spontan auf die Autobahn ein und fährt aus ihrem alten Leben davon.

So fand ich’s:

Die Cassette mit einem Lieder-Mix aus Annes Jugend gibt ihr den letzten Anstoß, um einfach wegzulaufen. Gefangen zwischen Alltag und Verpflichtungen hat sie sich selbst und ihre Wünsche aus den Augen verloren. Ihre jugendlichen Vorstellungen, wie ihr Leben einmal ablaufen soll, sind verbunden mit der Musik aus ihrer Schulzeit, die auch in meiner Jugend eine große Rolle spielte. Und so hatte ich überhaupt keine Mühe, mich in die Zeit von Prilblumen, Walkman, Fa-Seife und die vom Fernseher mit dem Mikro des Cassettenrecorders mitgeschnittenen Mix-Tapes hineinzuversetzen. Tatsächlich hatte ich zu fast jedem Lied-Titel und Interpreten, die die einzelnen Kapitel überschreiben, sofort die Melodie und den Text parat. Das war auch meine Jugend.

Auch Annes Flucht aus der familiären Tretmühle konnte ich gut verstehen. Sie findet sich plötzlich in Wien wieder in einer bunten, teilweise skurrilen Welt, die sie einerseits nach anfänglichem Zögern in vollen Zügen genießt und die ihr gar nicht verrückt genug sein kann. Ihre Familie blendet sie kurzerhand einfach aus, viel aufregender ist das Leben mit ihren Mitbewohnerinnen Greta und Marlene und deren verrücktem Künstler-Clan. Doch andererseits muss Anne einen Weg finden und sich darüber klar werden, wie sie künftig leben will.

Christine Weiner findet für mich genau die richtige Balance zwischen überdrehter Verrücktheit und ernsthaften Lebensweisheiten und trifft Wien und seine Atmosphäre genau auf den Punkt. Sie ist nicht bemüht witzig, sondern schafft eine Leichtigkeit, ohne die Lebenskrise Annes aus den Augen zu verlieren. Es ist weder melodramatisch noch oberflächlich und die Entwicklung, die Anne durchmacht bleibt jederzeit glaubhaft. Beim Lesen habe ich mich gefühlt wie Anne, hin und her gerissen zwischen durchgeknalltem Spaß und der Frage, wie man am besten mit so einer fundamentalen Krise umgeht. Das Buch hat mich durchgängig unterhalten mit seinem Humor, den besonderen Menschen und der perfekt dazwischengestreuten Ernsthaftigkeit.


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