Das Spiel der Nachtigall von Tanja Kinkel

Als eingefleischter Fan von Krimis und Thrillern mache ich nur gelegentlich einen Ausflug ins historische Genre. Der Name Walther von der Vogelweide ist – wie wohl jedem – auch mir bekannt. Aber was weiß man Näheres? Ich wusste gar nichts über ihn und seine Zeit, Ende des 12. und Anfang des 13. Jahrhunderts, und das hat mich dazu gebracht, zum „Spiel der Nachtigall“ zu greifen.

Als Sänger ist Walther von der Vogelweide an vielen deutschen Fürstenhöfen präsent. Er besingt nicht nur die Minne, die theoretische Bewunderung der hohen Damen, sondern verfasst auch handfestere Lieder über die Liebe und äußert in seinen oft spöttischen Versen auch seine Meinung über Fürsten, Könige und den Papst. Seine Texte sind immer wieder ins Buch eingeflossen und ergänzen die Handlung hervorragend. Walther wird von seinen Gönnern zur Meinungsmache benutzt und entdeckt auch schnell, wie er die Tatsache, dass man ihm gerne zuhört, selbst nutzen kann, um Einfluss auszuüben.
Judith hat als jüdische Frau keine guten Voraussetzungen dafür, ihren scharfen Verstand und ihre Freiheitsliebe ausleben zu dürfen. Nur die Tatsache, dass sie keine überlebenden Brüder hat, verschafft ihr die Möglichkeit einer medizinischen Ausbildung, die sie ebenfalls an verschiedene Fürstenhöfe führt und ihr Zugang zu einflussreichen Damen verschafft. Dort treffen sie und Walther immer wieder auf einander.

Wir verfolgen das Schicksal dieser beiden interessanten Persönlichkeiten (Walther immerhin historisch belegt, wenn auch wenig über sein Leben bekannt ist, Judith dagegen erfunden) und erfahren gleichzeitig eine Menge über die Geschichte dieser turbulenten Zeit. Denn ohne einen eindeutigen König und Kaiser entbrennt ein Streit um die Krone, auf die verschiedene Adelige Anspruch erheben. Durch Versprechungen und Eheschließungen, Überfälle und Mord versuchen die Kandidaten, die Konkurrenz zu beseitigen und sich den alleinigen Anspruch auf die Krone zu sichern. Es ist nicht immer leicht, dieses komplexe Wirrwarr von Verwandtschaftsbeziehungen, Überläufern und Intrigen auf eine einfache Darstellung zu reduzieren, aber das Buch schafft es, dass man trotzdem dran bleibt und weiter liest, auch wenn es einen Abschnitt gibt, der sich für meinen Geschmack zu detailliert auf die geschichtlichen Entwicklungen konzentriert.

Ich bin in der Geschichte nicht so bewandert, aber Tanja Kinkel hat es geschafft, mir diese Zeit viel besser nahe zu bringen als das im Geschichtsunterricht passiert ist. Die einzelnen Personen und ihre (bekannten oder möglichen) Motive sind mir vor dem geistigen Auge sehr lebendig erschienen, ob nun sympathisch oder nicht. An Spannung fehlte es schon wegen der dramatischen historischen Ereignisse nicht, die durch die beiden Einzelschicksale von Judith und Walther und noch einigen anderen bunten Nebenfiguren ergänzt wurden. Ein über 900 Seiten starker Wälzer, der einem Geschichte spannend und unterhaltsam nahebringt.


[Werbung] Klappentext- und Bildquelle sowie Buchdetails: Verlagsseite

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