Die Tyrannei des Schmetterlings von Frank Schätzing

Darum geht's:

Die ländliche Polizeistation im kalifornischen Sierra hat zu wenig Leute und zu viel Kleinkram, der sie auf Trab hält. Die Tote, die in einem Baum über der Schlucht hängend gefunden wird, bringt Sheriff Luther Opoku schnell an seine Kapazitätsgrenze. Und doch lässt er sich nicht abschrecken von der mächtigen Anwaltsfirma, die Nordvisk, der Arbeitgeber der Toten, schnell auffährt. Luther stochert weiter und entdeckt unglaubliche und unfassbare Dinge, die sich im privaten Forschungsgelände Nordvisks abspielen, das tief in einsamen Wäldern versteckt ist.

So fand ich's:

Über die ersten 150 Seiten habe ich ganz schön gekämpft mit diesem Buch. Die Sprache war verschwurbelt und voller blumiger Metaphern, und die Handlung lief nur sehr langsam an. Ich war sogar mehr als einmal kurz davor, das Buch wegzulegen. Schätzings Sprache hatte ich auch von früheren Büchern nicht unbedingt als simpel und direkt in Erinnerung, sondern schon immer ausschweifend und üppig. Aber der Einstieg in "Die Tyrannei des Schmetterlings" fiel mir dann doch noch mal schwerer als erwartet. Es hat sich aber gelohnt, dranzubleiben, denn nach den ersten ca. 150 Seiten fanden wir uns doch zusammen. Einerseits gewöhnte ich mich an die spezielle weitschweifige Ausdrucksweise Schätzings, die man schon mögen muss, um dieses Buch zu genießen, andererseits kam die Sprache auch immer mehr auf den Punkt, je mehr die Handlung mich packte. Wer also in das Buch hineinliest und das Gefühl hat, sprachlich nicht mit dem Buch klarzukommen, dem kann ich nur empfehlen, mit einem Abbruch länger zu warten als üblich, denn in meinen Augen lohnt es sich absolut, dem Buch mehr Zeit zu geben. Mich hat es nach dieser Anlaufphase unterm Strich doch noch überzeugt.

Schätzing bewegt sich gekonnt hin und her zwischen erklärenden, erzählerischen und spannungsgeladenen, actionreichen Passagen. Dabei schwenkt er nicht zu sehr in die eine oder andere Richtung ab. Die ruhigeren Passagen sind nicht zu lang oder weitschweifig und können die ganze Zeit mein Interesse halten. Die durchaus überraschenden Wendungen werden nie zu inhaltlosem Actionkino, obwohl es durchaus schon Schießereien und Verfolgungsjagden gibt. Man gleitet zwischen diesen Aspekten hin und her, ohne dass man den Wechsel spürt oder sogar als abrupten Bruch empfinden würde und damit hat es Schätzing geschafft, mich gleichzeitig zu informieren, zu unterhalten und zum Nachdenken anzuregen. Die Erzählung ist sprachlich dicht gepackt, so dass ich langsamer als üblich gelesen habe, um nichts zu verpassen. Manche Passagen fand ich überflüssig, manche habe ich sehr genossen.

Durch die tote Nordvisk-Mitarbeiterin wird Undersheriff Luther Opoku in eine Sache hineingezogen, die er - und auch der Leser - sich nicht im Traum hätte ausmalen können. Da mischen sich Science und Fiction aufs Feinste. Man bekommt Denkanstöße in verschiedenste Richtungen serviert, Theorien und philosophische Ansätze präsentiert, denen man für sich selbst weiter nachgehen kann, aber nicht muss. An der Oberfläche kann man "Die Tyrannei des Schmetterlings" als spannende Erzählung lesen und alles Weitere als Hintergrundinformation ansehen. Man kann aber auch tiefer einsteigen in die Frage, wie man Leben definiert und ob künstliche Intelligenz ein eigenes Bewusstsein entwickeln kann, in welche Richtung sich das Leben auf unserem Planeten in Zukunft entwickeln sollte und welche Chancen und Gefahren das birgt. Man merkt deutlich, dass sich der Autor ausführlich mit diesem Themenkomplex beschäftigt und viel dazu recherchiert hat. Obwohl man nicht mit zu viel Fachwissen erschlagen wird, hatte ich doch das Gefühl, man könne mit Schätzing lang und breit über dieses Thema diskutieren, weil er sich tiefgreifend damit befasst hat.

Sheriff Opoku ist zwar die Hauptperson, von der wir auch am Meisten erfahren, es gibt aber auch eine ganze Reihe an wichtigen Nebenfiguren. Der Schwerpunkt der Erzählung liegt nicht auf den Personen, sondern beim Thema, so dass wir außer Luther Opoku eigentlich niemandem emotional besonders nah kommen. Auch wenn die Mitstreiter schon Individualität und Tiefe bekommen, ist doch eine gewisse interessierte Distanz geblieben, was angesichts der fantastischen Ereignisse und des faszinierenden Themas aber zu verschmerzen war.

Das Buch ist definitiv nichts, was man schnell mal so zwischendurch weg liest, sondern es fordert die volle Aufmerksamkeit und sehr bewusstes Lesen - was mir ausgesprochen viel Spaß gemacht hat. Unterm Strich hat mich das Buch mit dem spannenden Thema und der gelungenen Umsetzung überzeugt, auch wenn ich so meine Anlaufschwierigkeiten hatte.

Mehr dazu:

Weitere Meinungen zum Buch:
Pialalama
Nicoles Bücherwelt

Ein Gespräch mit Frank Schätzing (ab ca. Minute 23) kann man in der ZDF Mediathek im Rahmen der Talksendung Lanz vom 15. Mai 2018 ansehen.

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Titel: Die Tyrannei des Schmetterlings
Autor: Frank Schätzing
ISBN / ASIN:
978-3-462-31833-3
Sprache:
deutsch
Genre: Roman
Verlag:
Kiepenheuer & Witsch
Erscheinungsjahr:
2018
Medium:
Hardcover
Seitenzahl: 736
Autorenhomepage:
Frank Schätzing
Klappentext- und Bildquelle sowie Buchdetails: Verlagsseite

 

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6 Jahre her

Hallo Gabi!

Ich habe von Schätzing bisher nur “Der Schwarm” gelesen. Seine ausschweifende Erzählweise habe ich noch sehr gut in Erinnerung. Dennoch habe ich das Buch sehr gerne gehabt.

Bei “Die Tyrannei des Schmetterlings” hat mich bis jetzt vor allem auch die Dicke des Buches abgeschreckt. Und irgendwie konnte ich bis jetzt auch noch keinen Grund finden, es trotzdem mit diesem dicken Schinken aufzunehmen :D

Liebe Grüße
Sabrina
#litnetzwerk

6 Jahre her

Hallo Gabi,
schöne Rezension des Buches. Ich bin auch gerade dabei es zu lesen bzw. zu hören. Da ich auch Startschwierigkeiten hatte, bin ich zum Hörbuch gewechselt und habe jetzt ca. 1/3 des Buches gehört. Bin schon sehr gespannt wie sich das alles auflöst. Es ist aber definitiv ein Buch dem man etwas Zeit geben muss, aber es lohnt sich (bisher)
Liebe Grüße
Vera

6 Jahre her

Hallo Gabi,
jetzt bin ich doch verdammt neugierig auf das Buch und es wandert doch wieder auf meine WL. Du weißt, ich habe noch nie einen Schätzing gelesen. Könntest Du mir eventuell ein Buch von ihm besonders empfehlen?
Liebe Grüße aus Wien
Conny

6 Jahre her

Die Thematik find ich sehr spannend, aber ich komme mit Schätzings Schreibstil überhaupt nicht klar, leider. ich lese lieber Rezensionen zum Buch :-)

6 Jahre her

Hui, hast du es also geschafft, dich durch die über 700 Seiten zu lesen! Ich bin ehrlich gestanden immer noch nicht weiter gekommen als bis zum Prolog, aber das sollte sich hoffentlich in den nächsten Wochen ändern. Dass der Schreibstil sehr gewöhnungsbedürftig ist, hab ich in der Zwischenzeit auch von anderer Seite her gehört, ich bin ja schon gespannt, wie es mir mit dem Buch dann ergehen wird.

Liebe Grüße
Ascari

6 Jahre her

Hallo liebe Gabi
wieder eine tolle Rezension von dir und Hut ab das du es durchgezogen hast – ich habe das Hörbuch erstmal abgebrochen als es in dieses ‘spacige’ bekam
Opoku gefiel mir richtig gut und den Einstieg fand ich auch klasse wie die Gespräche mit der KI aber es war unheimlich anstrengend dran zu bleiben. Vielleicht höre ich mal wieder rein aber im Moment eher nicht. Der Schwarm möchte ich aber auch mal lesen. Nun denn, wünsche dir eine tolle Woche
Liebe Grüße
Kerstin

Aleshanee
1 Jahr her

Schönen guten Morgen!

Von dem Autor kenne ich bisher ja nur “Der Schwarm”, was schon eine Weile her ist und ich hab es als sehr langatmig in Erinnerung, aber mit einem sehr guten Thema, das fasziniert.
Das scheint hier auch der Fall zu sein – und überhaupt sein Stil, nehm ich jetzt einfach mal an, weil seine Bücher alle so dick sind *lach*
Jedenfalls interessiert mich auch hier der Hintergrund sehr und ich hoffe, dass ich bald reinschnuppern kann.
An sich stört es mich nicht, wenn es langsam erzählt wird, es kommt immer auch drauf an wie mich alles andere mitnehmen kann.

Liebste Grüße und schöne Osterfeiertage!
Aleshanee