Die Vergessenen von Ellen Sandberg

Darum geht’s:

Die Journalistin Vera Mändler will ihrem lästigen Cousin Chris nicht mit Geld aushelfen. Sie hat sowieso schon den Verdacht, dass er ihre gemeisame Tante Kathrin bedrängt und angebettelt hat und dadurch Mitschuld an ihrem schweren Schlaganfall trägt. Chris scheint in Tante Kathrins Wohnung etwas zu suchen und Veras journalistisches Gespür erwacht. Dabei bekommt sie nicht mit, dass auch sie selbst schon beobachtet wird, denn was Chris sucht und Tante Kathrin versteckt hat, ist von ziemlicher Brisanz.

So fand ich’s:

Da ich vorher schon wusste, dass hinter dem Pseudonym Ellen Sandberg die erfolgreiche Krimiautorin Inge Löhnig steckt, war mir klar, dass das Buch handwerklich sicher routiniert ausgearbeitet ist und die Geschichte fesselnd erzählt wird – und genau so war es dann auch.

Das Thema ist schon ansatzweise in eine Art Krimigeschichte verpackt, doch offizielle Ermittlungsbehörden spielen hier keine Rolle, denn die beiden Protagonisten sind die Journalistin Vera und der Autohändler Manolis, der das Gesetz auch mal in seine eigenen Hände nimmt. Die beiden treibt ein persönliches Schicksal und die familiäre Verbindung zu Nazi-Verbrechen, um die es hier in diesem Buch geht. Einzig Inge Löhnigs Kommissar Dühnfort hat als Vertreter der Polizei einen kleinen Cameo-Auftritt, der mich zum schmunzeln brachte.

Dieses Buch wird auf zwei Zeitebenen erzählt. Zum einen erlebt man, wie Vera im heutigen München versucht herauszufinden, was ihre geliebte Tante Kathrin mit den Naziverbrechen an Kranken und Behinderten in der “Heil- und Pflegeanstalt Winkelberg” zu tun hatte. Sie will die Vergangenheit aufdecken, hofft natürlich auch, dass das positive Bild, das sie von ihrer Tante hat, dabei nicht beschädigt wird. Dass ein geheimnisvoller Auftraggeber versucht, jede Offenlegung zu verhindern, bekommt sie zuerst gar nicht mit, denn Manolis und seine Helfer stellen sich bei der Überwachung Veras sehr geschickt an. Die Familiengeschichte von Manolis selbst ist ebenfalls eingeflochten und da auch seine Familie von Nazi-Kriegsverbrechen direkt betroffen war und sich das bis heute auf seine Lieben auswirkt, hat das einerseits Manolis menschlich und sympathisch gemacht, aber andererseits auch eine weitere Facette des Hauptthemas dazugefügt.

Und gleichzeitig bekommt man aus Kathrins Sicht die Ereignisse während des 2. Weltkrieges in Winkelberg geschildert. Was die damals junge Frau erlebt und beobachtet, ist sehr bedrückend, besonders wenn man weiß, dass vielleicht die konkreten Einzelschicksale erfunden wurden, aber alles, was erzählt wird, so oder so ähnlich vielfach tatsächlich passiert ist.

Die beiden Erzählstränge greifen wunderbar ineinander und ergänzen sich, treiben die Geschichte voran und haben es geschafft, mich bis zum Schluss bei der Stange zu halten.

Nur Kathrins Perspektive aus der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg bis in die heutige Zeit kam mir viel zu kurz. Sie musste sich in einem schrecklichen Dilemma befunden haben zwischen ihrem Gerechtigkeitsempfinden und ihren persönlichen Gefühlen. Diese Vermutung kann man aber hauptsächlich aus den Fakten anstellen, die Nichte Vera im Laufe der Zeit ermittelt. Wie es Kathrin dabei tatsächlich ergangen ist, ob sie unter der Situation gelitten hat, Gewissensbisse hatte, mit ihren Entscheidungen haderte – dieser Blick in ihr Seelenleben fehlte mir sehr, denn ich konnte ihr Verhalten nicht wirklich immer nachvollziehen. Genau wie Vera habe ich gehofft, dass am Ende Tante Kathrin als mutige Widerstandskämpferin dasteht, die alles in ihrer Macht stehende versuchte, um die Naziverbrecher wenigstens im Nachhinein bestraft zu sehen. Da klaffte für mich eine große Lücke im Verständnis für Kathrin, die mir das Buch leider nicht glaubhaft schließen konnte und mich mit dem Gefühl zurückgelassen hat, Kathrins Charakter in einem wesentlichen Teil nicht erfassen zu können.

Abgesehen von diesem einen Kritikpunkt fand ich dieses wichtige Thema Euthanasie in der NS-Zeit eindringlich geschildert, in eine spannende Rahmenhandlung verpackt, und sensibel erzählt, so dass ich dieses Buch trotzdem jedem ans Herz legen möchte – eine Leseempfehlung gibt es von mir auf jeden Fall.

Mehr dazu:

Die Autorin spricht in einem Brief auf der Ellen Sandberg Homepage ihre Leser direkt an und erklärt, aus welchem Grund sie für “Die Vergessenen” ein Pseudonym wählte und wieso ihr dieses Buch besonders am Herzen liegt. Dort gibt es unter anderem auch Lesungstermine und einen Blog.

Weitere Meinungen zum Buch gibt’s hier:
Suses Buchtraum
Lese Welle  
Lesefreude
Life4Books

 


[Werbung] Klappentext- und Bildquelle sowie Buchdetails: Verlagsseite
Herzlichen Dank an das Bloggerportal und den Penguin Verlag für das Rezensionsexemplar

 

 

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6 Jahre her

Danke fürs Verlinken

kaisuschreibt
6 Jahre her

Ich überlege gerade, ob ich Inge Löhnig schon mal gelesen hab?! Hab sie aber auf jeden Fall schon mal in der Hand gehabt … mh, aber da mich hier die Thematik interessiert bzw neugierig macht, werd ich auf dem Weg mal in ihren Schreibstil reinschnuppern :D

5 Jahre her
Reply to  Gabi

Hab das Buch inzwischen gelesen und bin nicht zu 100% mit ihm warm geworden. Vera war mit eine zu langweilge Person. Irgendwie so belanglos und klischeebelastet, obwohl sie ein großes Herz hat :P

@ Dühnfort
Ja, ich erinnere mich und ich kam damals nicht rein und hab die Serie nicht fortgesetzt.

Hallöchen Gabi,
Auf deine Rezension zu dem Buch war ich ja schon sehr gespannt und nun habe ich es endlich geschafft, mal wieder vorbeizuschauen und sie zu lesen. Was du schreibst klingt ja echt spannend und als könnte mich das Buch sehr interessieren. Nur habe ich gerade die Befürchtung, dass du für meinen Geschmack schon ein bisschen viel von der Geschichte verraten hast. Ich kann es natürlich nicht genau einschätzen, weil ich das Buch noch nicht gelesen habe. Na mal sehen, am besten mache ich mir wie immer einfach selbst ein Bild. Und wenn du auch eine Leseempfehlung aussprichst, dann kann es ja eigentlich nur gut werden. :*
Liebste Grüße, Julia

5 Jahre her

Hey :)

Ich kann deinen Kritikpunkt absolut nachvollziehen. Auch beim Hören habe ich mir gedacht, dass mir – als die Geschichte an diese Stelle kam – ein wenig Tiefe fehlt. Ich hatte zu der Zeit sogar deine Kritik noch im Kopf, deswegen habe ich da ganz bewusst hingehorcht. Es gibt gefühlt einen Satz, der sich damit beschäftigt, da hätte ich mir aber auch etwas mehr gewünscht.

Liebe Grüße
Ascari