Darum geht's:
Nina hat dem Dorf, in dem sie aufgewachsen ist, schon lange den Rücken gekehrt. Die Nachricht, dass ihr Kindheitsfreund Tim gestorben ist, weckt schlimme Erinnerungen. Tim war kurz vor seinem Tod in ihr Heimatdorf zurückgekehrt, um nach seiner verschwundenen Schwester zu suchen. Und er hat Nina eine Nachricht hinterlassen, die sie zwingt, in das Dorf zurückzukehren, das sie am liebsten für immer meiden würde.
So fand ich's:
Das Buch teilt sich in zwei Handlungsstränge, die auch optisch gut durch unterschiedliche Schriftarten getrennt sind. Zum einen erzählt uns Nina aus ihrer Sicht, wie sie versucht, ihre Version von Tims verrücktem Plan umzusetzen, um seine Schwester Gloria zu finden. Und gleichzeitig begleiten wir Peter und seine Freunde im Dorf dabei, wie sie sich mit dem düsteren, angsteinflößenden Wolff beschäftigen, der in der Nähe wohnt.
In den namensgebenden ausgedehnten Wäldern, die das Dorf umgeben, scheinen besonders nachts unheimliche Dinge zu passieren. Ihr Dickicht birgt so einige Überraschungen und man braucht Mut, um sich hinein zu wagen. Doch die Wälder spielen unterm Strich leider keine so große Rolle wie ich angesichts des Titels erwartet hatte. "Die Clique" oder "Das Verbrechen" hätten den Kern der Geschichte mindestens genauso gut getroffen. Allerdings bringen die Wälder als Schauplatz einen sehr atmosphärischen und düsteren Touch in die ganze Erzählung.
Der Thrill kommt auf eher leisen Sohlen, doch der Lesesog hat mich trotzdem schnell gepackt. Ich fand Nina eine wunderbare Erzählerin, die schwankt zwischen Wut und Verzweiflung, Rachedurst und Angst und langsam Stück für Stück in die weit weggeschobene Kindheit zurückkehrt. Ihr Jugendfreund David soll ihr dabei helfen, doch er hat die traumatischen Ereignisse von früher so weit weggeschoben, dass er sich nicht einmal erinnert und daran auch nichts ändern will.
Und auch die Kinderclique des Dorfes um den dunkelhäutigen Peter hat mich schnell in ihre Welt hineingezogen. Die Kinder liefern uns ihre Interpretation von dem, was die Erwachsenen tun, sie ziehen ihre Schlüsse, aber sie haben nicht alle Fakten, sondern leben in gewisser Weise in ihrer eigenen kleinen Welt mit ihrer ganz speziellen Perspektive. Dass die manchmal einsichtiger ist und sie viel aufmerksamer sind als die Erwachsenen, hilft nicht viel, wenn man sie nicht ernst nimmt. Oder wenn sie sich Sachen nur einbilden? Es hat mir großen Spaß gemacht, die Gruppe der Kinder zu verfolgen, wie sie sich mit dem Verschwinden von Gloria beschäftigen, was sie unternehmen und wie sie als Gruppe von engen Freunden interagieren.
Die Figuren wissen mehr als der Leser und durch die Art, wie manche Szenen erzählt werden, ergibt sich für die Leser ein Überraschungseffekt. Da mir dieses Stilmittel aber so gar nicht gefällt (es hat noch niemand geschafft, mir das so zu präsentieren, dass ich Spaß daran hatte) fühlte ich mich durch vorenthaltene Informationen, die ich durchaus hätte bekommen können, wenn die Erzähler dem Leser manches nicht einfach verschwiegen hätten, ein bisschen an der Nase herumgeführt. Auch die vielen Cliffhanger, die regelmäßig einen Perspektivwechsel zwischen Nina / David und Peters Kinderbande einleiten, fand ich eher nervig als dass sie Spannung erzeugten. Cliffhanger sind grundsätzlich nicht mein Ding und ich werde davon eher irritiert als neugierig gemacht. Und da sie sehr schnell wieder aufgelöst werden, fand ich sie besonders in ihrer Häufigkeit oft unnötig und manchmal auch ein bisschen konstruiert.
Die Figuren fand ich großartig. Ob nun Protagonisten oder Nebenfiguren, sie waren für mich alle greifbar und lebensnah. Manchen wurde nur mit ein paar Sätzen Leben eingehaucht, weil sie z. B. am Rand von Peters Blickfeld immer wieder auftauchen. Mit anderen durfte ich mich ausführlicher beschäftigen und ihren Weg verfolgen und ob ich sie nun mochte oder nicht, sie boten mir alle schlüssige Charaktere nah an der Wirklichkeit und ich hatte immer das Gefühl, dass so ein Dorf in Wirklichkeit ganz genau so auch existieren könnte.
Auch wenn die zentralen Stilmittel hier nicht unbedingt nach meinem persönlichen Geschmack waren, hat mir Melanie Raabes Spiel mit der Sprache, das sie so wunderbar beherrscht, die überzeugenden Figuren, die Atmosphäre und die Handlung wieder sehr gut gefallen und mir ein paar tolle Lesestunden beschert.
Mehr dazu:
Weitere Meinungen zum Buch:
(wird ergänzt)
Herzlichen Dank an den Verlag und das Bloggerportal für das Rezensionsexemplar
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Titel: Die Wälder
Autor/in: Melanie Raabe
ISBN / ASIN: 978-3-442-75753-4
Sprache: Deutsch
Genre: Thriller
Verlag: btb / Randomhouse
Erscheinungsjahr: 2019
Medium: Klappenbroschur
Seitenzahl: 432
Klappentext- und Bildquelle sowie Buchdetails: Verlagsseite
Hui, du hast es bereits gelesen und rezensiert! Bei mir steht der Titel noch auf der Wunschliste und ich war nach der einen oder anderen Besprechung etwas skeptisch, viele sagen es sei ihr schlechtestes Buch … jetzt grübel ich, wie sehr ich es haben will …
Ich mag es ja bei ihr besonders, dieses “auf leisen Sohlen” wie du es so schön geschrieben hast. Ein Thriller muss nicht boooom zuschlagen, die Spannung darf sich gerne nach und nach aufbauen, solange die Atmosphäre drumherum packend geschrieben ist.
Mukkelige Grüße!
Ihr schlechtestes Buch ist “Die Wälder” auf gar keinen Fall. Ich mochte sie ja alle, aber für mich führt “Die Wahrheit” die Liste von hinten ;-) an. Andere halten “Die Wahrheit” für ihr bestes Buch. Jedes ihrer Bücher hat einen anderen Kniff und je nachdem, ob das mit dem persönlichen Geschmack harmoniert oder nicht, liebt man das Buch oder eben nicht.
Bei “Die Wälder” war einiges nicht nach meinem Geschmack, was aber nicht heißt, dass es schlecht geschrieben war. Und langweilig schon gar nicht. Und dass es mich unterm Strich doch überzeugt hat, spricht ja wohl dafür, dass die Dinge, die mir gefallen haben, richtig auf den Punkt waren.
Die Atmosphäre und die Charaktere waren toll und ich kann mir gut vorstellen, dass genau das auch Dir wirklich gut gefällt. Deshalb würde ich Dir doch raten, das Buch nicht auszusortieren!
LG Gabi
Oh ich liebe vor allem “Die Falle” von ihr! Die anderen auch, aber ja, “Die Wahrheit” ist aufgrund der Auflösung das für mich schlechteste und bei ihr immer noch nicht im Sinne des Wortes schlecht. Nur den Hörspiel-Podcast mochte ich nicht ganz … ich denke, ich muss mir wohl “leider” ein eigenes Bild zu den Wäldern machen ;)
Ein richtiger Flop war “Die Wahrheit” in meinen Augen auch nicht, aber ich mochte die Protagonistin nicht. Sie musste sich ständig verhalten wie ein Idiot, damit die Geschichte funktionierte. Ich wollte ihr öfter zurufen, dass sie doch dieses oder jenes tun solle, das käme einem doch als erstes in den Sinn. Hinterher wusste ich dann, wieso sie nie auf die naheliegendste Idee kam – weil sonst der Plot zusammengebrochen wäre.
Spannend war das Buch trotzdem und Melanie Raabes Spiel mit Worten liest sich immer klasse.
Ich fand “Die Wälder” um eines besser als “Die Wharheit”, also ab damit auf Deine Leseliste :-)
Den Podcast hab ich mir gespart, scheint eine gute Idee gewesen zu sein ;-)
LG Gabi
Ich war eher vom Ende enttäuscht, da hatte ich anderes erwartet und es überzeugte mich nicht wirklich. Aber die Wälder sind nun wieder dick auf der WuLi notiert (=
Sehr gut! Dann haben wir endlich wieder mal ein Buch, das wir beide lesen!
Oh ja, das ist ja echt eewig her – wie haben wir uns nur so auseinander gelesen? :P
Ich finde “Die Wälder” auch bei Weitem nicht das schlechteste, das war für mich auch “Die Wahrheit” (da kamen Gabi und ich so ziemlich zum selben Schluss). “Die Wälder” ist nicht so gut wie “Der Schatten”, finde ich, aber immer noch lesenswert. Gerade wenn man etwas ruhiger mag.
Ansonsten finde ich es faszinierend, Gabi, dass wir auch hier zu sehr ähnlichen Schlüssen kommen. Ich fand den Wald auch ein bisschen zu sehr “Hintergrundrauschen” und hab bis zum Schluss nicht verstanden, warum gewisse Infos nicht schon vorher auf den Tisch kommen (Peter und seine Clique, du weißt schon).
Aber das Buch ist so ein dankbarer Gegenentwurf zu den haasträubenden Thrillern, die es sonst so auf dem Markt gibt, dass es jede positive Leser*innen-Stimme mehr als verdient.
Ich habe inzwischen einige Rezensionen zu “Die Wälder” gelesen, die genau diesen Kniff mit dem aktuellen Handlungsstrang und der Kinderclique schon in ihrer Rezension auflösen und das nicht als Spoiler markieren. Vielleicht gar nicht als Spoiler erkennen? Oder sie finden das auch unnötig und erzählen den Inhalt einfach ganz geradlinig, weil ihnen das so besser gefällt.
Ich mag Thriller mit gerne etwas unglaubwürdiger Hau-Drauf-Action auch ganz gerne als Entspannungslektüre zum Runterkommen :-) Aber das, was Melanie Raabe anbietet ist etwas feiner und ruhiger, atmosphärischer und packt einen trotzdem. Das gefällt mir sehr und deshalb werde ich auf jeden Fall ihre zukünftigen Bücher lesen, auch wenn mich an manchen ihrer Bücher etwas stört.
Unterm Strich sind sie alle schöne Leseerlebnisse.
LG Gabi
Ja, das ist eigentlich unerhört!
Ich lese ja auch immer wieder Rezis von Dir, die mich echt reizen, aber mit den Reihen, die ich einigermaßen auf dem Laufenden halten will und den Autoren/Autorinnen, deren Neuerscheinungen auch automatisch kaufe, ist gar nicht so viel Zeit für Experimente und Neues. Und ich nehme an, Dir geht es ähnlich.
Wie gut, dass man auf begeisterte Rezis auch nach langer Zeit noch zugreifen und sich inspirieren lassen kann! Das hab ich definitiv auf dem Plan. Aktuell muss ich zugeben, dass Kerstin sehr viel mehr auf meiner Lese-Wellenlänge liegt!
LG Gabi