Helga: Als es noch keine Worte dafür gab – mein Weg vom Mann zur Frau von Sabine Weigand

Darum geht’s:

Hermann F. ist mit einer wundervollen Frau verheiratet, hat zwei tolle Söhne und ein erfolgreiches Geschäft. Eigentlich scheint alles perfekt, aber in ihm sieht es ganz anders aus. Sein ganzes Leben schon quält er sich damit herum, dass er sich als Frau fühlt. Im Nachkriegsdeutschland kann er das aber nur heimlich ausleben, lügt seine Frau an und verleugnet seine Natur. Bis es nicht mehr geht.

So fand ich’s:

Sabine Weigand ist eine Autorin historischer Romane, die mich mit ihrer Art, Geschichte lebendig werden zu lassen, schon lange begeistert. Diesmal hat sie sich an etwas Neues gewagt und porträtiert Helga, eine Zeitzeugin des 20 Jahrhunderts, die ein ungewöhnliches persönliches Schicksal hat, denn sie wurde als Hermann geboren und lebte fast 40 Jahre lang als Mann.

Helga spricht selbst zu uns. Eingefärbt in leichten fränkischen Dialekt erzählt sie frei von der Leber weg über sich und ihr Leben. Der Hauch von Mundart stört den Lesefluss überhaupt nicht, ist auch für Nicht-Franken absolut verständlich und schafft es, ein Bild von einer lebendig erzählenden Person vor dem inneren Auge entstehen zu lassen. Man meint, Helga bei sich am Kaffeetisch sitzen zu haben und ihr live zu lauschen. Ungefiltert bekommen wir Helgas Sicht auf ihr Leben geboten und sie schont sich nicht, entblößt ihre Seele vor uns und versteckt auch die unangenehmen Seiten ihres Lebens nicht vor uns.

Ich habe gespürt, dass Hermann bzw. Helga einfach nur ein ganz durchschnittlicher Mensch sein wollte, der sein kleines Glück in Familie und Beruf findet. Doch so sehr Hermann sich auch bemüht, die Sehnsucht nach einem Leben als Frau lässt sich nur kurzfristig unterdrücken. Irgendwann bestimmt diese Selbstverleugnung sein ganzes Denken und man kann sich als Leser gar nicht distanzieren von dieser Leidenszeit, dem Selbsthass und der Sehnsucht. Hier geht es nicht darum, als schillernder Paradiesvogel das Licht der Öffentlichkeit zu suchen, sondern schlicht darum, sich in der eigenen Haut wohlzufühlen und mit sich selbst im Reinen zu sein. Was für die meisten Menschen selbstverständlich ist, das wird für Hermann zu einem fundamentalen Problem.

Auch wenn heute noch Transsexualität eine Sache ist, mit der viele Menschen nichts anfangen können, so gab es zu Helgas Zeit so gut wie keine Informationen darüber. Es gab nichts, an dem Helga sich orientieren und die eigene Gefühlswelt irgendwie einordnen konnte.

Obwohl der kleine Hermann schon als Kind kein leichtes Leben hatte und auch Helga nach ihrer geschlechtsangleichenden Operation nicht nur rosige Zeiten erlebte, erzählt sie emotional, aber niemals jammernd, und nimmt einen mit ihrer sympathischen Art für sich ein. Man bekommt die Nachkriegszeit und den Wirtschaftsboom aus ihrer ganz persönlichen Sicht geschildert, ist von ihrem Lebenslauf berührt und bewundert, wie sie ihr Schicksal gemeistert hat. Ein gelungenes Porträt einer tollen Frau!

Mehr dazu:

Hier geht’s zu meinem Bericht über die Lesung zum Buch mit Sabine Weigand und Helga, die ich am 11.11. in Schwabach besucht habe.

Ein 5-minütiges Interview des Bayerischen Rundfunks mit Sabine Weigand kann man sich hier ansehen.

Einen kleinen Eindruck von Helga kann man hier in einem zweiminütigen Youtube-Video und in einem Beitrag für die Sendung ML Mona Lisa bekommen.

Wer sich über das Thema Transidentität weiter informieren möchte, kann das z. B. auf der Seite der Selbsthilfeorganisation Trans Ident e.V. tun.


[Werbung] Klappentext- und Bildquelle sowie Buchdetails: Verlagsseite

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