2040: Tag der Deutschen Einheit von Patrick Baumann

Darum geht’s:

Im Jahr 2040 ist in Deutschland eine rechtsnationale Partei an der Regierung. Der Berliner Kioskbesitzer Paul Kanter hat seine kriminelle Vergangenheit hinter sich gelassen und zahlt so gut er kann Schutzgeld an den Al-Farsi Clan. Als er seine Freundin in ihrer Wohnung niedergestochen auffindet, gerät er sofort in Verdacht, der Täter zu sein. Er flüchtet und versucht herauszufinden, wer es auf sie abgesehen haben könnte und will sich natürlich selbst entlasten.

So fand ich’s:

Der Protagonist Paul Kanter war mir von Anfang an sympathisch. Er hat als “böser Junge” angefangen, ist aber vom kriminellen Weg abgewichen, weil er nicht mit den Folgen leben konnte. Ganz im Gegenteil zu Teilen seines Umfeldes, die immer noch Gewalt als probates Mittel sehen. Dieser Werdegang hat ihn für mich interessant gemacht. Leider blieb er im Laufe der Handlung eher passiv und stolperte ohne sein aktives Zutun in Situationen, die ihn vorwärts zwangen. Ein wenig mehr eigene Überlegungen, ein Plan, Initiative von seiner Seite hätten mir gut gefallen.

Und nicht nur Pauls Perspektive lebt von passenden Zufällen, sondern auch ein geheimnisvoller Unterstützer kann Paul zwar beispielsweise im Handumdrehen eine neue Identität, ein neues Smartphone, Wohnung und Zugang zu einer bestens geschützten Veranstaltung verschaffen, ist dann aber darauf angewiesen, dass Paul planlos im Servicebereich der Party herumirrt und das Rad seines Servierwagens genau im richtigen Moment an der richtigen Stelle am Teppich hakt und er stehen bleibt, um … na ja, das wäre zu viel gespoilert ;-)

Überhaupt scheint Berlin ein Dorf zu sein, denn die Anzahl der Personen war kammerspielmäßig sehr klein gehalten, jeder kannte jeden und war irgendwie verbandelt, verfeindet oder wieder mal zufällig an der richtigen Stelle. Das mutete für mich sehr konstruiert an. Wenn sich schon in der Millionenstadt die immer gleichen Personen über den Weg laufen, hätte mir eine Hintergrundgeschichte gefallen, die genau diese Zufälle besser erklärt. Auch wenn sich einige davon später als gar nicht so zufällig erwiesen, war es mir immer noch zu viel, was sich zu passend ergeben hat. Selbst Protagonist Paul hat das bemerkt und ruft mehr als einmal erstaunt aus, dass das doch irre Zufälle sind. Ja genau.

Die Handlung des Buches ist nur 18 Jahre in der Zukunft angesiedelt und der Zukunftsaspekt war genau wie der dystopische Faktor nur sehr schwach vertreten. Fans von waschechten Dystopien dürften hier wohl nicht ganz auf ihre Kosten kommen. Ich hab mich mehr als einmal gefragt, wieso man überhaupt in die Zukunft versetzt wird und diese Geschichte nicht in einem alternativen 2022 erzählt bekommt. Selbst die technische Entwicklung wäre nach meinem Eindruck mit einigen anderen Entscheidungen in der jüngsten Vergangenheit auch heute schon möglich gewesen.

Als regelmäßige Thrillerleserin habe ich so einige Standard-Szenen wiedergefunden. Zum Beispiel die neugierige Nachbarin, die in Berlin natürlich Kowalke heißen muss. Oder Paul, der versucht, sich unauffällig davonzuschleichen und jemand ruft “He, sie!”, nur um ihn auf den offenen Schnürsenkel aufmerksam zu machen.

Dieser Thriller ist quasi aus Basics zusammengesetzt und ich war förmlich ausgehungert nach überraschenden Wendungen, nach einer Variante, die ich noch nie gelesen habe, etwas, das mir den Mund offen stehen lässt. Als so einen Punkt könnte man das Ende des Buches bezeichnen, doch weil danach nichts mehr kam, was die Situation auflöste, war mir das auch wieder nicht Recht.

Für meinen Geschmack waren mir zu viele Sachen on page zu sehr in die Länge gezogen. Andere Infos wurden an unpassenden Stellen gegeben, nachdem man sie vorher schon in drei Szenen gebraucht hätte. Und manche Dinge passierten ohne dass wir sie miterleben durften und wurden nur kurz danach lapidar erwähnt, was mich ärgerte, weil ich auf diese Szene gewartet hatte. Auch dadurch war die Spannung nicht besonders hoch. Höchstens im letzten Drittel des Buches hat es die Bezeichnung Thriller einigermaßen zu Recht getragen.

So – habe ich nun über wirklich jeden Aspekt des Buches geschimpft? Scheint so. Dabei entsteht wohl der Eindruck, das Buch wäre ein totaler Reinfall gewesen, was tatsächlich nicht so war. Man merkt das Potenzial, das durchaus da ist, doch das Buch geht auf Nummer Sicher und geht damit im Meer der durchschnittlichen Bücher unter. Es traut sich nicht, von den breit gelatschten Wegen abzuweichen, was ich von einem Selfpublisher-Buch aber fast schon erwarte. Ich denke, der Autor hätte es drauf gehabt und hat es beim nächsten Buch vielleicht auch drauf, uns ein tolles Leseerlebnis zu bescheren. “2040 – Tag der deutschen Einheit” war aber eher nur die Generalprobe. Es war okay, aber bei weitem nicht furios.

Mehr dazu:

Weitere Meinungen zum Buch:
(wird ergänzt)

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Titel: 2040 – Tag der deutschen Einheit
Autor/in: Patrick Baumann
ISBN / ASIN: ‎ B09DLGLV6X
Sprache:
Deutsch
Genre: Thriller
Verlag: Selfpublisher
Erscheinungsjahr:
2021
Medium:
eBook
Seitenzahl: 336
Klappentext- und Bildquelle sowie Buchdetails: Autorenhomepage

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2 Jahre her

Hi Gabi, ich habe deine Rezension gerade auf Amazon gefunden und darüber den Blog. Ich bin der Autor :) Und muss sagen, auch wenn es meine Eitelkeit nicht bedient, dass deine Rezension wohl die nützlichste ist, die ich bisher bekommen habe. Wenn ich mein eigenes Buch kritisch genug lesen könnte, würde so etwas wie deine Rezension herauskommen. Danke! Ich wünschte, ich hätte dich als Probeleserin gehabt. Mit deinem Fazit “Generalprobe” hast du den Nagel auf den Kopf getroffen. Es war mein erster Versuch, ich will (und hoffe kann) es besser machen, und ausgewogene, aber kritische Rezensionen wie deine motivieren mich dazu. Vielen Dank!

2 Jahre her
Reply to  Gabi

Hi Gabi, die Mail-Adresse speichere ich mir gleich ab, ohne Witz :) Was mich noch interessieren würde: Wie bist Du auf mein Buch aufmerksam geworden?

1 Jahr her
Reply to  Gabi

Ah ja, danke. Immer interessant zu wissen!