Darum geht’s:
Die Literaturwissenschaftlerin Verena Hofer übernimmt als Sommerjob die Aufsicht und “literarische Förderung” des Neffen von Frau von Wuthenow. Sie ist überrascht, als sie entdeckt, dass der Neffe Carl schon erwachsen ist, aber durch eine Kopfverletzung sein Kurzzeitgedächtnis beeinträchtigt wurde, er aber trotzdem als externer Berater der Polizei arbeitet. Einen mörderjagenden Erwachsenen mit Gedächtnisproblemen bei seiner Arbeit zu begleiten – so hatte sie sich den Job nicht vorgestellt. Da sie das Geld braucht und ihre Nichte und Adoptivtochter Amelie auf dem Gutshof Wuthenow bestens betreut wird, lässt sie sich doch zögerlich auf diesen Job ein.
So fand ich’s:
Der freiberufliche Polizeiberater Carl von Wuthenow ist ein interessanter Charakter. Er wirkt anfangs arrogant, dabei ist er nur sachlich und spricht die Tatsachen direkt an. Er ist aber auch aufmerksam und empathisch und entwickelt sich deshalb schnell zu meiner Lieblingsfigur. Dazu kommt noch die besondere Situation Carls, der jeden Abend vergisst, was er erlebt hat und mit dem Stand der Dinge aufwacht, wie sie vor einem halben Jahr waren, als er eine Gehirnverletzung erlitten hat. Das behindert ihn erstaunlich wenig, denn auf seine methodische, sachliche Art hat er es inzwischen raus, die Erinnerungen auf andere Weise zu konservieren, wenn schon sein Gedächtnis ihn im Stich lässt. Manchmal vergisst man dieses Handicap komplett, so dass ich fast schon ein bisschen enttäuscht war. Ich hatte angenommen, seine Einschränkung würde zu mehr spannenden Komplikationen führen als es dann tatsächlich der Fall war.
Verenas Charakter konnte ich leider nicht richtig greifen. Sie lebt teilweise in den Tag hinein, als sie sich z. B. auf diesen Sommerjob einlässt, ohne wirklich zu wissen, auf was sie sich da eingelassen hat. Buchstäblich mit dem letzten Euro in der Tasche schafft sie es gerade noch nach Gut Wuthenow. Alles sehr sorglos, wenn man bedenkt, dass sie ein fünfjähriges Kind im Schlepptau hat. Aber trotz des anfänglichen Schocks darüber, sich mit einem blutigen Mordfall befassen zu müssen, findet sie sich schnell und glatt in die Rolle einer Ermittlerin ein. Sie observiert geschickt, führt Befragungen routiniert durch und wird sogar bei einer Kneipenschlägerei handgreiflich. Das lief mir zu reibungslos und passte nicht ganz zu dem vergeistigten Eindruck, den ich anfangs von ihr hatte.
Im Team sind Verena und Carl ein sehr harmonisches Duo, denn sie ist eher emotional, er sachlich und kühl – aber beide intellektuell auf einer Wellenlänge und interessiert daran, den Mord aufzuklären. Ihre Zusammenarbeit hat mir richtig gut gefallen. Auf die sich anbahnende Romanze zwischen ihnen hätte ich auch gerne verzichten können, die angedeuteten Gefühle der beiden störten aber auch nicht. Dass sich eines meiner Lieblingsgedichte, des Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Halvelland von Fontane, durch das Buch zog, fand ich klasse. Nicht nur für Carl von Wuthenow eine Erinnerung an die Kindheit :-)
Verenas Nichte Amelie wirkte mir zu erwachsen für ein Kind im Kindergartenalter. Dass sie vor kurzem die Mutter verloren hat und aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen wurde, steckt sie problemlos weg, lässt sich gerne und willig bei fremden Leuten zwischenparken und erkundigt sich immer brav bei der Tante, wie ihr Tag war. Überhaupt wirkt sie nicht wie eine Fünfjährige auf mich, was sicher auch an der Wortwahl von so für Kinder untypischen Worten wie “zunächst” gelegen haben kann. Natürlich gibt es altkluge Kinder, aber auch so kam Amelie nicht rüber.
Die Handlung ist interessant zu lesen und schafft es auch, mich bei der Stange zu halten, auch wenn mehr Spannung möglich gewesen wäre. Der menschliche Faktor kommt hier nicht zu kurz, was mir immer gut gefällt und auch in “Dunkel Land” ein gut gelungener Aspekt ist. Unterm Strich war die Mordermittlung allerdings nichts Außergewöhnliches, sondern eher solide Kost.
Und noch etwas aus der Besserwisser-Ecke:
Als regelmäßige Besucherin von Krimilesungen im Institut für Rechtsmedizin in München wurde mir oft genug der Unterschied zwischen Rechtsmedizinern und Pathologen erklärt. Notfalls weiß Wikipedia Rat, was ein Pathologe tut oder eben ein Rechtsmediziner und in beiden Artikeln wird darauf hingewiesen, dass die Bezeichnung Pathologe in Krimis falsch ist, sondern üblicherweise der Rechtsmediziner gemeint ist. Aber vielleicht ist das in Berlin, wo “Dunkel Land” spielt, ja anders als in München ;-)
Insgesamt fand ich das Buch flott und als leichte Lektüre gut lesbar geschrieben, auch wenn man die Charaktere etwas präziser und besonders bei Verena mehr in die Tiefe gehend hätte zeichnen können. Jemand, der nur gelegentlich einen Krimi liest, wird sicher mehr Spaß daran haben als eingefleischte Krimileser wie ich, denn für mich war die Handlung zu beliebig und der besondere Pfiff fehlte, den man mit Carls Gedächtnisproblemen beispielsweise hätte deutlicher setzen können. Die Geschichte an sich hätte es hergegeben, aber für meinen Geschmack wurden deren Möglichkeiten nicht voll genutzt.
Der Kriminalfall ist zwar abgeschlossen, aber es bietet sich die Möglichkeit einer Fortsetzung und sollte es mit Carl und Verena weitergehen, würde ich trotz der kleinen Kritikpunkte auch eine Fortsetzung lesen, denn das Potenzial ist definitiv da und ich habe “Dunkel Land” gern gelesen.
Mehr dazu:
Weitere Meinungen zum Buch:
Mikka liest
[Werbung] Klappentext- und Bildquelle sowie Buchdetails: Verlagsseite
Ich beanke mich herzlich beim Verlag und bei NetGalley für das Rezensionsexemplar
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Fein, fein. Vielen Dank für deine Rezension, liebe Gabi. Da hatte ich ja schon drauf gelauert. Nun hab ich eine bessere Sicht der Dinge und werd dann mal entscheiden, ob Dunkles Land auf meine WuLi kommt oder nicht.
Liebe Grüße, Jürgen
Lass mich mal wissen, ob Du das Buch lesen wirst, nach meinem ein bisschen durchwachsenen Urteil.
LG Gabi
Ich war nach einigen Tweets von dir ja schon neugierig auf deine Besprechung! Auch wenn es sich trotz deiner Kritik nett lesen lässt, glaube ich nicht das ich zum Buch greifen werden.
Hab noch einen schönen Abend!