Seit einiger Zeit beschäftige ich mich ein bisschen mit den Stolpersteinen, die in Nürnberg verlegt wurden. Ich habe vor, mir alle anzusehen, zu fotografieren und zu versuchen, etwas über die Menschen herauszufinden, denen diese Steine gewidmet sind – dazu wird es dann hier noch eigene Beiträge geben. Als erstes habe ich festgestellt, dass manche Stolpersteine schon vor ganz schön langer Zeit verlegt wurden, die ältesten in Nürnberg stammen von 2005. Kein Wunder, dass sie nicht mehr so ansehnlich sind.
Also habe ich mich entschlossen, die passenden Putzutensilien mitzunehmen und die Steine aufzuhübschen, bevor ich sie fotografiere.
Puh, ich hab ganz schön in der warmen Herbstsonne geschwitzt, bis die Steine wieder glänzten, aber es hat sich absolut gelohnt. Ich hab allerdings total unterschätzt, wie lange es dauert, bis ein paar Steine poliert sind. Das lag auch daran, dass mich ganz viele Leute angesprochen haben, als ich da so mitten auf dem Gehsteig wie eine Wilde geputzt habe.
Hier ist mal ein vorher / nachher Vergleich, bei dem man ganz gut sieht, was man durch das Polieren alles erreichen kann:
Und hier ist einer von drei zusammengehörenden Steinen geputzt. Auch von dieser Veränderung war ich beeindruckt:
Am meisten hat mir aber gefallen, wie viele Leute stehengeblieben sind und ein paar Worte mit mir gewechselt haben.
Mindestens 10 Menschen haben sich bei mir bedankt, dass ich die Stolpersteine putze, weil die Stolpersteine eine tolle Sache wären und sie jede positive Aufmerksamheit verdient hätten. Viele Leute sind natürlich auch einfach so vorbei gelaufen, aber ich habe immer die Ohren gespitzt und nicht wenige von den Passanten haben mit ein paar Metern Entfernung angefangen, sich über die Stolpersteine zu unterhalten.
Ein älteres Ehepaar mit ausländischem Akzent, den ich nicht näher einordnen konnte, blieb stehen und die Frau sagte nur immer wieder “eine gute Sache”. Sie war total ergriffen und hat nicht mehr heraus gebracht als das. Da hab ich eine Gänsehaut bekommen und mich nicht getraut, näher nachzufragen, ob sie einen persönlichen Bezug dazu hat.
Eine Anwohnerin hat sich erkundigt, womit ich poliere, weil die Steine wieder so schön werden.
Eine andere Anwohnerin ist auf dem Weg aus dem Haus stehen geblieben und hat sich lange mit mir unterhalten. Es hat mich echt gefreut zu hören, dass sie sieht, wie regelmäßig Menschen stehen bleiben und die Plaketten lesen. Sie erzählte von einem Nachbarn, der berichtete, wie er als Kind miterlebt hat, dass man auch eine alte Dame aus dem Haus gebracht und deportiert hat. Selbst vor Greisen hat man nicht Halt gemacht. Außerdem hat sie mich darauf aufmerksam gemacht, dass das Haus, vor dem die Stolpersteine angebracht wurden, ein “Judenhaus” gewesen wäre. Man hat Menschen gezwungen, dorthin umzusiedeln und hat sie dort mehr oder weniger zusammengepfercht, damit sie schon mal alle auf einem Fleck wohnen und man sie später leichter deportieren konnte. Wir kamen auch auf die heutige politsche Situation zu sprechen und waren uns sehr einig in der Einschätzung.
Natürlich durfte auch die blöde Begegnung nicht fehlen. Auch wenn es mich wie einen Kinderfeind hinstellt, nein, das bin ich nicht. Aber ich habe mich echt darüber geärgert, dass zwei ca. 5 Jahre alte Kinder auf den Stolpersteinen herumhüpfen mussten, während ich sie putzte. Als ich das dann mit “na klasse” kommentierte, kam von einer Mutter “das sind eben Kinder”. Ich konnte mit nicht verkneifen zu antworten “dann bringen sie ihnen bei, was das hier bedeutet”. Denn man muss natürlich einem 5-jährigen Kind nicht die Nazi-Gräuel in allen Einzelheiten erzählen, aber dass diese Stolpersteine an Leute erinnert, die gestorben sind und denen Unrecht geschehen ist und man zumindest andern Leuten, die sie putzen, nicht knapp an den Fingern vorbei vor der Nase herumhopst, das hätte man schon altersgerecht verpacken können. Ich hätte das auch getan, denn ich hätte kein Problem damit gehabt, den Kindern angemessen zu erklären, was ich hier tue und wieso. Aber die Mutter speiste meine Empfehlung, die Kinder doch zu informieren, mit einem “ähm, pft” ab und die ganze Gruppe aus Kindern und Erwachsenen entfernte sich ca. 5 Meter, von wo sie mir noch ne Weile böse Blicke zuwarfen. Ich hätte sie am liebsten fotografiert ;-)
Zum Glück gab es ein Kinder-Erlebnis, dass das Ganze wieder ausglich. Ein etwas älteres Mädchen (6 oder 7) stellte sich zu mir und beobachtete, was ich vor ihrer Haustüre tat. Ich sprach sie an und erklärte, dass ich die Plaketten putze und zeigte ihr den Unterschied zwischen geputzt und ungeputzt. Das kommentierte sie mit “cool” und verschwand im Haus. Vielleicht ist sie dadurch auf die Stolpersteine vor ihrem Haus erstmals aufmerksam geworden? Vielleicht fragt sie irgendwann ihre Eltern, was die bedeuten? Vielleicht geht sie irgendwann mal raus und poliert sie auf? Egal, es reicht schon, dass sie sie wahrgenommen hat.
Nachdem ich heute 20 Stolpersteine an drei Standorten geputzt habe, tun der alten Frau hier die Finger, der Arm und die Knie weh ;-) Aber dank der vielen positiven Rückmeldungen habe ich das Gefühl, etwas dazu getan zu haben, dass die Stolpersteine nach wie vor beachtet werden. Natürlich putze ich weiter, mal sehen, wie lange ich dazu brauche, bis die Nürnberger Stolpersteine wieder gänzen. Ich halte euch auf dem Laufenden!
Mehr Infos:
Homepage der Stolpersteine (inclusve der Ansprechpartner der verschiedenen Regionen)
Anleitung zum Putzen der Steine (Youtube)
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Hallo Gabi,
das finde ich eine richtig tolle Aktion von dir. Ich hoffe, auch in der Zukunft bleiben die Reaktionen überwiegend positiv. Weißt du, wieviele Stolpersteine es in Nürnberg gibt?
Ich freue mich sehr darauf, die Ergebnisse deiner Recherchen zu erfahren :) Ich kann mir vorstellen, dass es nicht leicht ist, Informationen über die Personen zu finden. Aber hinter manchen Namen verbergen sich sicher faszinierende Geschichten.
Liebe Grüße
Julia
Hallo Julia,
Im Augenblick sind 77 Steine an 26 Standorten in Nürnberg verlegt. Im November sollen mindestens 8 weitere dazu kommen. Also eigentlich schon eine übersichtliche Zahl, bei der es schon machbar ist, alle mal aufzupolieren, ohne dass man Jahre dafür braucht.
Bisher habe ich mich bei der Recherche aufs Internet beschränkt und ich bin mir nicht sicher, wie viel Energie ich da reinstecken soll. Manche waren sicher auch stinknormale Leute, die einfach ihre Ruhe haben wollten, die ganz unpoltisch waren und einfach die “falsche” Religion hatten. Aber je mehr ich mich damit beschäftige, desto interessanter wird das auch für mich.
LG Gabi
Liebe Gabi!
Das ist wirklich eine wundervolle Aktion von dir. Sehr berührend und so wichtig in dieser Zeit. Vielleicht sind noch viel mehr Menschen darauf aufmerksam geworden, ohne dass du sie bemerkt hast, und denken ein bisschen darüber nach. Ich bin mir auf jeden Fall sicher, dass du die Welt wieder ein kleines Stückchen besser gemacht hast! Danke dir dafür! Auch ich werde unsere Gedenksteine in der Stadt jetzt wieder aufmerksamer betrachten.
Alles Liebe!
Liebe Tharah,
ich habe tatsächlich den Eindruck, dass die Stolpersteine genau das bewirken, was sie sollen, wenn sie einem erst mal ins Auge gefallen sind. Seit ich weiß, wo überall welche liegen, weil ich mir eine Liste besorgt habe, entdecke ich auch, dass ich über den einen oder anderen x Mal drüber (oder dran vorbei) gelaufen bin, ohne dass er mir aufgefallen wäre. Wenn sie schön glänzen, schauen vielleicht mehr Menschen hin. Und definitiv erregt das Aufsehen, wenn jemand mitten auf dem Gehsteig mit Putzutensilien sitzt und arbeitet ;-)
LG Gabi
Das hast du super gemacht liebe Gabi, es freut mich das es dir gesundheitlich besser geht. In Zukunft werde ich sicher ganz anders über oder neben diesen Steinen laufen. DANKE
Liebe Brigitte,
vielleicht sitze ich sogar gerade daneben und putze, wenn Du vorbei kommst. Es dauert ja eine Weile, bis ich alle abgeklappert habe. Dann trinken wir einen Kaffee oder Tee zusammen ;-)
Liebe Grße
Gabi
Liebe Gabi!
Eine schöne Aktion! Wenn ich in Nürnberg das nächste Mal Stolpersteine sehe, werd ich vielleicht auch an deine Aktion und an den Post hier denken. Vielen Dank auch für die vorher und nachher Bilder. Man kann gut erkennen, dass das Putzen einiges bringt.
Viele Grüße aus Forchheim!
Jemima
Liebe Jemima,
in Forchheim gibt’s auch Stolpersteine. Vielleicht komme ich mal zum Putzen vorbei ;-)
LG Gabi
Hallo Gabi!
Das ist eine tolle Aktion, ganz ehrlich. Ich bleibe zwar immer stehen und schaue mir die Steine an, wenn ich einen entdecke, bin aber noch nie darauf gekommen, sie zu putzen.
Ich mag die Idee und die Einstellung die dahinter steckt. Daumen hoch!
GLG Ulla
Hallo Ulla,
ich hab das mal irgendwo gelesen, dass jemand in einer anderen Stadt (Details weiß ich nicht mehr) sich um die Stolpersteine kümmert und sie regelmäßig putzt. Und weil es in Nürnberg nicht so aussah, als ob sich da jemand kümmern würde, hab ich das ganz spontan beschlossen. Auch wenn es Arbeit macht, überwiegt das positive Gefühl, was Gutes getan zu haben und die Gespräche, die sich ergeben, bei weitem!
LG Gabi
Hallo Gabi,
oh mann, ich hab gerade Tränen in den Augen. Ich weiß gar nicht was ich jetzt eigentlich sagen will. Ich find ganz toll was Du da machst.
Hier in Stuttgart gibt es diese Stolpersteine ja auch. Vor einigen Jahren habe ich mir vorgenommen an jedem Stolperstein an dem ich vorbeikommen wenigstens stehen zu bleiben und ganz bewusst die Inschrift zu lesen. Wirklich geklappt hat das nicht. Immer ist etwas, weswegen man in Eile ist oder eben gerade nicht stehen bleiben kann. Das ärgert mich im Nachhinein immer wieder.
Vielleicht kriege ich es ja jetzt nach Deinem Beitrag auf die Reihe.
Ganz liebe Grüße
Sanne
Hallo Sanne,
bei mir hat es sich auch von “mal vorbeigehen” über “ein Foto von jedem Stein machen” zu “ich poliere sie mal auf” entwickelt. Es scheint nirgends eine Komplettliste zu geben, was ich schade finde, denn man könnte auch z. B. im Urlaub beim Städtetrip ein bisschen Ausschau halten. Ich hoffe, das kommt noch, denn die Stolpersteine sind wirklich weit verbreitet. Es sind schon mehr als 60.000 Steine verlegt, über 50.000 alleine in Deutschland.
Bisher sind mir die in Nürnberg auch nicht unbedingt aufgefallen und ich hab mich gewundert, dass welche an Stellen sind, an denen ich schon ganz oft vorbei gelaufen bin und noch nie einen Stolperstein bewusst wahrgenommen habe. Ich habe mir auch vorgenommen, mehr darauf zu achten.
LG Gabi
Hallo Gabi!
Mir fehlen die Worte. Was für eine wunderbare, geniale Aktion. Es zeigt nur zu deutlich wie ein jeder einen kleinen Beitrag leisten kann.
Ich bin überrascht wie sauber du die Steine bekommen hast. So fallen sie Passanten bestimmt gleich wieder viel mehr auf.
Ich hoffe du lässt uns noch an vielen weiteren Putzerlebnissen teilhaben.
Liebe Grüße
Sabrina
#litnetzwerk
Hallo Sabrina,
es macht tatsächlich großen Spaß, durch die Stadt zu laufen und die Steine zu putzen, denn es führt erstaunlich oft zu tollen Gesprächen mit Passanten und Anwohnern. Hätte ich nicht so erwartet.
Und ich hätte auch nicht erwartet, dass man die Steine wieder so glänzend bekommt. Das heißt andererseits natürlich leider auch, dass sich da jahrelang niemand mehr um sie gekoümmert und geputzt hat. Aber das kann man ja ändern ;-)
LG Gabi
Hallo Gabi du bist ein wunderbarer Mensch Das muss ich jetzt mal loswerden Danke für dein Engagement
Danke sehr!
Ich verneige mich vor Dir und Deiner Aktion Gabi. Danke dafür. Mehr muss ich dazu nicht sagen.
Danke sehr!
Hallo Gabi,
ich finde es schön, dass du auf deinem Blog den Stolpersteinen eine eigene Rubrik widmest und auch Beiträge dazu veröffentlichst. Immer wenn ich irgendwo Stolpersteine sehe, versuche ich bewusst stehen zu bleiben und mir den Namen der Personen anzuschauen.
Liebe Grüße
Isa
Hallo Isa,
bei mir fing es auch so an, dass ich regelmäßig an einer Reihe Stolpersteine vorbeigelaufen bin und mir dann überlegt habe, herauszufinden, wo in Nürnberg welche sind und welche Lebensgeschichten sich dahinter verstecken. Ich habe auch im Hinterkopf, im nächsten Frühling wieder eine Putztour zu machen – das lassen ja sogar die Corona-Einschränkungen zu, wenn nicht gerade komplette Ausgangssperre herrscht.
Dass da Menschen mit schlimmen Schicksalen dahinter stecken, sollte man nie vergessen und die Stolpersteine sind eine gute Art, daran zu erinnern.
Liebe Grüße
Gabi